Die Volkszählung von 1819 im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin
Volkszählungen erfassen und beschreiben den gesamten Bevölkerungsstand eines bestimmten Gebietes zu einem bestimmten Zeitpunkt quantitativ und qualitativ nach spezifischen individuellen Merkmalen." Zu dieser Universalität hinsichtlich der Aufnahme aller Personen und der Individualität bezüglich der namentlichen Registrierung, sollte nach modernem Verständnis die Simultanität der Datenaufnahme und die Periodizität einer regelmäßigen Wiederholung kommen. Die Gleichzeitigkeit der Zählung war nur schwer durchzusetzen, und zu einer Wiederholung kam es in Mecklenburg Schwerin erst in den Jahren 1866/67, dennoch sind die Volkszählungslisten von 1819 ein Quellenbestand von besonderer historischer Bedeutung. Die deutschen Staaten des 19. Jahrhunderts sahen nur wenig Notwendigkeit darin, bevölkerungsstatistisches Material nach der Auswertung aufzubewahren, und so sind es im deutschsprachigen Raum vor allem das Thüringische Staatsarchiv in Meiningen und das Landesarchiv in Schwerin, die über annähernd vollständiges Material verfügen. Die Volkszählung von 1819 wird darüber hinaus hinsichtlich der Dichte ihrer Erhebung mit an der Spitze der deutschen Volkszählungen" stehend charakterisiert, und dass, obwohl Mecklenburg erst 1851 ein eigenes statistisches Büro erhielt.
Literatur: Matthias Manke, Die Volkszählungen des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin in den Jahren 1819 und 1867 unter Mitberücksichtigung der Volkszählung des Jahres 1866, in, Genealogie 27/3-4 (2005), S. 449-468
Warum wurde die Volkszählung vorgenommen?
Anlass gab die Militärverfassung des Deutschen Bundes, nach der die 41 einzelnen Bundesstaaten im Höchstfall 1,8% ihrer Bevölkerungszahl an Kontingentstruppen zu stellen hatten. Da konkrete Bevölkerungszahlen für beide Mecklenburg fehlten, ordnete Großherzog Friedrich Franz I. von Mecklenburg Schwerin am 18. Juni 1819 die Volkszählung an. Im kleineren M.-Strelitz war bereits 1817 gezählt worden, die Listen sind nicht erhalten. Landesherrliche Beamte, städtischer Magistrate, Ortsobrigkeiten und Gutsbesitzer erhielten die Anweisung, im August 1819 die Zählung vorzunehmen. Die Zähler hatten von Haushalt zu gehen und die Daten der dort lebenden Personen nacheinander zu erfassen. Dies nahm mehr Zeit in Anspruch als von herzoglicher Seite vorgesehen, und so verschob sich der Abgabetermin von Ende August auf Mitte November, dann auf Anfang Dezember. Die letzten Fragebögen gingen schließlich im Februar 1820 ein.
Wie wurde gezählt?
Grundlage für die Zählung war ein detaillierter Vordruck, in dem der Reihe nach einzutragen war: Laufende Nummer; Ob männlichen oder weiblichen Geschlechts; Vor und Zunamen; Jahr und Tag der Geburt; Geburtsort; Kirchspiel, wohin der Geburtsort gehört, Stand und Gewerbe, Grundbesitz, Wie lange er schon hier ist, Ob ledig oder verheiratet, Religion und zusätzlich das Feld Allgemeine Bemerkungen. Aufgenommen wurden nacheinander alle am Zählort angetroffen Personen, doch auch vorübergehend Anwesende und Abwesende wurden, mit Ausnahme der Seestädte; aufgenommen, obwohl die Verordnung von 1819 dies nicht vorsah. So wurde beispielsweise in Güstrow über die Tochter des Glasers Martin Albrecht, Dorothea Albrecht, vermerkt, sie sei, einstweilen zum Besuch in Strelitz" und umgekehrt verzeichnete der Zähler über Carolina Messin, geb. Ohden, sie halte sich, um sich von ihrer Krankheit zu befreien" bei ihrer Schwägerin, der Torschreiberwitwe Elisabeth Messin, geb. Kröger, in Güstrow auf. Von Seeleuten hieß es häufig auf einem Schiff nach England" und bei Soldaten finden wir die Angabe, wo sie stationiert waren, beispielsweise Musketier bei der 3ten Compagnie des 2ten Bataillons" und von Studenten dementsprechend studiert in Marburg". Die Zähler entwickelten, wie sich bei der Bearbeitung der Listen schnell herausstellte, jeweils einen eigenen ?Stil' der Aufnahme. Einige nutzten das Feld der Zunamen auch für die Geburtsnamen der Frauen, andere schienen das Feld Bemerkungen besonders gern zum Notieren von Zusatzinformationen zu nutzen. Gefunden wurden vereinzelt Angaben zum Gesundheitszustand, wie an allen Gliedern gelähmt" (Kl. Welzin), liegt seit 6 Jahren auf dem Krankenbette" (Gr. Brütz), taubstumm" (Parchim) oder gar blödsinnig". Doch auch Angaben, dass es sich bei Geschwistern um Zwillinge oder gar Drillinge handelte, wurden im Feld ?Bemerkungen' aufgenommen, wie ebenfalls die Tatsache, dass ein junger Mann der Ernährer einer alten Mutter und 4 vaterloser Geschwister" oder eine Frau von ihrem Manne verlassen" sei. Der häufigste Eintrag ist allerdings von den Pastoren vorgenommen worden, die die Angaben, wenn möglich, mit den Kirchenbüchern verglichen und bezieht sich auf uneheliche Kinder: Dann findet sich das vernichtende spurius!" oder weiblich spuria!" in den Bemerkungen. Diese zusätzlichen Angaben erhöhen den Quellenwert der Volkszählung von 1819 trotz ihrer Unregelmäßigkeit, wurden sie doch sonst in der Regel erst Ende des 19. Jahrhunderts in anderen Volkszählungen abgefragt.
Was bei Unpünktlichkeit geschah...
Dem Herzog war an einer unverzüglichen Erledigung der Zählung gelegen, Verzögerungen wurden bestraft und der Landesexecutor meldete sich bei der betreffenden Gemeinde oder Stadt an. So geschah es auch der Festungsstadt Dömitz, die die Listen nicht pünktlich hatte abliefern können. Im Anschluss sind die Schreiben des Bürgermeisters und des Rates der Stadt an den Herzog wiedergegeben, die den Akten der Volkszählungsliste für Dömitz beigelegt sind. (LAS 2.21-4/4, Volkszählung 1819, Sign. 73, Stadt Dömitz)
Allerunterthänigstes Frist Gesuch von Seiten Bürgermeister und Rat zu Dömitz
Allerdurchlauchtigster Großherzog,
Allergnädigster Großherzog und Herr,
Auf Euer Königl. Hoheit hohen Befehl hat uns der dortige Executor Tolzien, wegen Einreichung der hiesigen Volckszählungslisten, unterm 14ten -- et praes. den 17ten dieses auf 8 Tage verwarnt. Die einzige Ursache dieser Verspätung ist, daß es hier im Orte an tüchtigen und schnellen Abschreibern solcher Listen, welche mit dem 4ten Exemplar, so wir hier behalten, gegen 300 Bogen ausmachen, fehlet. Sollten Eure Königl. Hoheit das Resultat dieser Listen etwa auch für den künftigen Staats-Kalender bestimmt haben, so legen wir zu diesem Zweck die eine Abschrift allerunterthänigst hiebei an, wegen der beiden anderen noch fehlenden Abschriften ersuchen wir in der allertiefsten Unterwürfigkeit, Allerhöchstdieselben wollen huldvoll geruhen, uns noch einen 14tägigen, oder doch wenigstens eine 8tägige Befristung a die decreti zu bewilligen, die erkannte Execution bis dahin zu suspendieren, und dem dortigen Executor Tolzien das Behufige darüber zugehen zu lassen.
Wir zweifeln nicht an der allergnädigsten Erhörung unserer dringenden Bitte und ersterben in unbegrenzter Verehrung
Euer Königl. Hoheit
allerunterthänigst -- treu gehorsamste Bürgermeister und Rat
Dömitz, den 20n Decbr. 1819
Vogel, Best, Bürger
Die Dömitzer bekamen bis zum 28. Dezember Aufschub. Bis dahin sollte die Exekution allerdings ?sistiret' (fortgesetzt) werden. Ende Dezember sandten die Dömitzer dann die fehlenden Abschriften an den Herzog.
Allerunterthänigste Einreichung des noch rückständigen 2ten und 3ten Exemplars der Volckszählungs Liste von Seiten Bürgermeistzer und Rat zu Dömitz
Allerdurchlauchtigster Großherzog,
Allergnädigster Großherzog und Herr,
Euer Königl. Hoheit übermitteln wir jetzt beigeschlossen das noch rückständige 2te und 3te Exemplar der hiesigen Volckszählungs Liste, bitten um allergnädigste Aufhebung der erkannten Execution, in derjenigen allertiefsten Verehrung, worin wir ersterben,
Euer Königl Hoheit
allerunterth änigst -- treu gehorsamste Bürgermeister und Rat
Dömitz, 30ter Decbr. 1819
Vogel, Best, Bürger
Doch damit war der Fall für die Dömitzer keineswegs ausgestanden. Ein Exemplar war nicht unterschrieben und Bürgermeister und Rat hatten vergessen, die Absendung auch durch den Executor bescheinigen zu lassen. So mussten sie dem Herzog am 17. Januar 1820 mitteilen:
Allerdurchlauchtigster Großherzog,
Allergnädigster Großherzog und Herr,
Euer Königl. Hoheit remittierte uns unterm 28ten Decbr. v. J. et. praes. den 7ten dieses das eine Exemplar der hiesigen Volckszählungs Liste, wegen fehlender Unterschrift der Ehrn Prediger, mit dem allerhöchsten Notificatorio, daß die erkannte Execution auf 8 Tage a die decreti -- also bis zum 6ten dieses sistiret worden. Wir besorgten nun jene Unterschrift sofort, und reichten die Volckszählungs Liste mit rückgehender Post wieder ein, so daß sie am 8ten dieses dort eingetroffen ist.
Wir glaubten nun, dem Executor Tolzien nur die Gebühren auf 2 oder 3 Tage schuldig zu sein, derselbe schreibt uns aber unterm 15ten dieses, daß die Execution noch nicht wieder aufgehoben worden, sondern immer ihren Fortgang hätte. Hier kann doch nur der Umstand eintreten, daß der Executor von der am 8ten dieser wircklich geschehenen Einsendung der Liste in der allerhöchst erforderten Beschaffenheit nicht benachrichtiget, die Execution nicht wieder aufgehoben worden, und also solche wider uns noch fortgesetzet wird.
Da wir nun aber unter den vorgedachten Umständen daran ganz unschuldig sind, indem wir schon am 8ten dieses dasjenige, was Eure Königl. Hoheit von uns verlangt hatten, allerunterthänigst geleistet haben: so ersuchen Eure Königl. Hoheit wir in der tiefsten Unterwürfigkeit,
Allerhöchstdieselben wollen die Execution sofort wieder aufzuheben, und dem Executor Tolzien das Behufige mit allergnädigster Bestimmung, auf wie viele Tage wir die Gebühren an ihn zu zahlen haben, zugehen zulassen geruhen. Wir können nicht glauben, daß die Execution deshalb fortdauern, weil das auch am 30ten Decbr. v. J. von uns eingesandte 2te und 3te Exemplar der Volckszählungs Liste von dem Prediger noch nicht mit unterschrieben worden, in dem Eure Königl. Hoheit uns solche bis jetzt nicht zurückgeschickt haben, mithin auch ohne unsere Schuld nicht haben unterschreiben lassen können. Sollte dies noch nothwendig sein: so bitten wir uns solche allerunterthänigst wieder aus, die Execution aber auf allen Fall huldigst aufhören zulassen.
Wir ersterben in der allertiefsten Verehrung Euer Königlichen Hoheit
allerunterthänigst -- treu gehorsamste
Bürgermeister und Rat
Dömetz, den 17n Januar 1820
Vogel Best Bürger
Am 24. Januar wurde die Zwangsexecution endlich aufgehoben, allerdings mussten die Dömitzer die vollen Kosten bis zu diesem Termin dafür übernehmen, denn es sei ihre eigene Schuld", da sie es unterlassen hätten, vor Absendung der Listen diese dem Executor vorzulegen."
Michael Busch